Seitdem ich denken kann, versucht sich die Politik am Lösen vieler großer Probleme. Viele der Probleme sind immer noch dieselben, wie vor 20 Jahren, einige sind neu hinzugekommen, jedoch kaum ein Problem ist verschwunden.
Dies liegt natürlich auch in der Natur der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, dass man diese eigentlich nicht lösen, vielmehr nur konstruktiv begleiten kann.
Viele dieser Probleme sind wirklich große Herausforderungen. Die Verteilung des Wohlstandes, die Bereitschaft Müll zu trennen, die Finanzierung des Gesundheits- und Sozialsystems, Bildung, Klimawandel, etc. etc.
Geht man ein Problem auf dieser Makro-Ebene an, dann muss man zwangsläufig scheitern. Auch dann, wenn man das große Problem in viele Einzelteile zerlegt und Heerscharen von ExpertInnen daransetzt.
Der Vorschlag, welchen ich hier unterbreiten möchte, geht weg von den eben erwähnten makroskopischen Phänomenen und sieht diese vielmehr als zufällige und systemische Konsequenzen viel einfacherer, viel basalerer Zustände.
Letztlich sind alle gemeinschaftlichen Phänomene auf die Summe der Ihnen zugrunde liegenden individuellen Handlungen über die Zeit zurückzuführen. Das Phänomen an sich ist natürlich hochkomplex und unmöglich kausal erklärbar, dennoch als solches real und von unmittelbarer Relevanz für uns. Wie bei allen komplexen Systemen kann man die einzelnen Effekte nicht genau beschreiben und gestalten. Es bleibt schließlich nur die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen des Systems derart zu gestalten, dass man die Wahrscheinlichkeit für dieses oder jenes Ergebnis gegebenenfalls erhöht.
Genau zur Gestaltung dieser Rahmenbedingungen möchte ich mit diesem Vorschlag einen Beitrag leisten. Und dieser ist denkbar einfach und wird manchen gerade deswegen vermutlich im ersten Augenblick auch naiv erscheinen.
Jedes Phänomen ist auf die Summe der Einzelhandlungen über Zeit zurückzuführen. Handlungen werden von Menschen ausgeführt. Diese handeln sowohl rational, vielmehr aber auch intuitiv bzw. emotional. In einer sich zunehmend „atomarisierenden“ Gesellschaft leben Menschen immer stärker isoliert voneinander. Der Wettbewerb dominiert, Leistung steht im Vordergrund und darunter leiden fundamentale Aspekte wie zum Beispiel die Solidarität oder altruistische Haltungen. Wir entscheiden uns nicht gegen diese Aspekte, nein, sie kommen uns in feinen Scheiben abhanden. Aber auch wenn man von der Wurst immer nur feine Scheiben abschneidet, so wird sie doch letztlich verschwunden sein. So verhält es sich mit dem immer stärker bemerkbaren Prozess der gesellschaftlichen Desintegration und Vereinsamung. Die Konsequenz sind vereinsamte und vereinzelte Individuen, die sich auch entlang dieser Tendenz über die Zeit hin verhalten. Ihr emotionaler Zustand aggregiert sich zu eben diesen Phänomenen, welche man schließlich benennt und vergeblich zu lösen versucht.
Also, der Schlüssel zur Beeinflussung der Phänomene liegt im Empfinden aller Menschen. Schafft man es, hier einen Wandel herbeizuführen, dann wandeln sich auch die Phänomene. Es ist dabei völlig egal, ob das Phänomen ein ökologisches, ein wirtschaftliches oder ein migrationspolitisches ist.
Wie kann man nun zu einem positiven Wandel des individuellen Empfindens beitragen. Mit sogenannten „Micro Socials“, also kleinen sozialen Gesten.
Hierfür möchte ich zwei wesentliche Elemente dieser Micro Socials hervorheben. Zum einen sind dies die sog. „Nudges“ (Thaler/Sunstein). Durch diese kleinen Stupse in Form von positiven Handlungen sollen Menschen dazu angeregt werden, ihr Verhalten entsprechend zu ändern. Schafft man es nun, mit Hilfe dieser Nudges eine breitere Masse zu überzeugen und wird dieser Prozess selbst laufend, also viral, dann trägt sich die Veränderung selbst. Dies ist das zweite Element. Im Grund zeigt man ein positives, vorbildliches Verhalten, welches dann massenhaft wiederholt wird und so auch positiv auf viele draus entstehende Phänomene wirkt.
Beispiel für solche „Micro Socials“ sind:
- Man hält jemandem die Tür auf
- Man hilft jemandem in den Mantel
- Man stellt den Fuß in die U-Bahn-Tür, wenn man sieht, dass jemand läuft
- Man wartet im Lift, wenn noch jemand kommen und dreht sich nicht weg
- …
Das Prinzip dahinter ist relativ einfach. Durch diese kurzen und unverbindlichen Gesten wird ein „Ich schau auf dich / Du bist mir nicht egal / Ich nehm dich wahr / …“ signalisiert. Das Gegenüber freut sich, machte es beim nächsten Mal vielleicht sogar selbst. Jeder hat wohl schon so einen Moment erlebt und diese sind trotz oder vielleicht ob ihrer Einfachheit sehr wirkmächtig.
Die Vorteile solcher Micro Socials liegen auf der Hand. Sie kosten nichts, können ohne Aufwand in den Alltag integriert werden und im schlimmsten Fall passiert nichts. In den meisten Fällen bekommt man ein Lächeln oder ein Danke, mehr ist auch nicht notwendig.
Aus Perspektive einer politischen Aktion könnte man Micro Socials in Form einer Plakatkampagne, via Social Media aber auch im täglichen Umgang verwerten. Keine großen Programme, Reformen und Versprechen, die dann im Zeitlauf vergehen und verschwimmen. Das bringt zwei große Vorteile: Zum einen muss man nichts versprechen, dass man nicht halten kann. Viel wichtiger ist jedoch der Vorteil der Aufmerksamkeit des Wählers, da man hier ein völlig neues Konzept politischer Kommunikation und Aktion anwendet.
Natürlich ist dieses Konzept kein Wundermittel, aber ich sehe es als einen wertvollen und konstruktiven Beitrag hin bzw. zurück zu einer gemeinschaftsorientierten politischen Kommunikation.
