Nach vielen Jahren, unzähligen Diskussion aus unterschiedlichsten Perspektiven und Rollen bin ich nun zum Schluss gekommen, dass der Begriff Regionalität im allgemeinen Diskurs nichts taugt und eigentlich aus diesem gestrichen werde müsste.
Was ist Regionalität? Sie kommt mit so einem einfachen und allseits vertrauten Gewand daher, dass man im ersten Moment gern schief anschaut werden darf, wenn man diese Frage stellt.
Schlussendlich stellt sich aber heraus, dass die Regionalität ein ziemlicher Populist unter den Begriffen ist, der jedem nach der Schnauze redet, um doch am Ende nichts zu sagen.
Eine Analogie aus der Statistik, die ich hierzu gerne heranziehe, soll die Behauptung illustrieren. Wir sind es gewohnt, in Durchschnitten / Mittelwerten zu denken. Mittelwerte sind so unheimlich praktisch, weil sie die Realität in nur einer Zahl widergeben und so jedem, der sie aufnimmt eine Vorstellung von Etwas gibt. In der nachstehenden Abbildung ist das orange Maxerl in Zeile 1, 2 & 3 der Mittelwert.
Abbildung – eigene Darstellung
Ja, es geht immer noch um Regionalität. Die Vorstellungen von dem, was Regionalität ist, sind so verschieden, wie die Maxerl in Zeile 1 & 4. Das kann gerne mal jeder versuchen, der nicht gerade allein zuhause sitzt: Stellen Sie die Frage, was ist „Regionalität“, verhindern Sie spontane Diskussionen und jede/r soll sich 5 – 10 Minuten Zeit nehmen und seine Vorstellung vom Begriff auf ein Blatt Papier schreiben. Und dann vergleichen sie die Ergebnisse. Wenn Sie der Meinung sind, dass der Begriff zu weit gefasst ist, dann versuchen Sie es mit „Was verbindest du mit dem Begriff Regionalität beim Einkaufen?“.
Es gibt keine Regionalität sui generis. Regionalität als Begriff haben wir uns ausgedacht, genauso wie Pokèmon und Wikipedia, nur mit dem Unterschied, dass man bei den beiden letzteren Begriffen zumindest halbwegs weiß, was gemeint ist (Zeile 3).
Und selbst wenn man glaubt, man weiß, wovon man bei Regionlität redet, wird es meistens doch noch recht schwierig:
Regional ist in einem Umkreis von 50km von meinem Wohnort!
- 50 km Luftlinie und einem Kreis oder 50 Straßenkilometer egal in welche Richtung?
- Darf ich dabei auch Grenzen von Bundesländern oder Staatsgrenzen überschreiten, e.g. nach Ungarn?
- Geht es mir bei Regionalität um den CO2-Ausstoß beim Transport oder doch darum, dass die Wertschöpfung im Land bleibt, oder in der Region oder in der Gemeinde?
- Ist es dann beim CO2-Ausstoß und den Straßenkilometern nicht wichtig, ob es sich um flache Straßen handelt oder es 50km über Tiroler Pässe geht, wo der Verbrauch dann ums 4-fache steigt? Sollten es in dem Fall dann nicht nur 12.5 km sein? Wer soll das überprüfen?Und geht es mir bei all dem nicht auch darum, dass der regionale Produzent auch ein guter Produzent ist, der seine Tiere gut behandelt und seine Produkte wertschätzt?
- … oder irgendwie von allem etwas?
Gehen wir nun mal davon aus, dass sich all diese Aspekte in unterschiedlicher Anzahl und Ausprägung in der Wahrnehmung jedes Menschen wiederfinden, wenn er irgendwo Regionalität sagt oder Regionalität hört. Und nehmen wir noch als Prämisse mit rein, dass nicht jeder, wenn er oder sie irgendwo Regionalität hört oder mit jemanden darüber spricht, vorher eine klare Definition hierzu festlegt. Dann würde es ja bedeuten, dass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit völlig aneinander vorbeireden. Gut, Loriot, Schulz von Thun und fast jeder Lebenspartner auf der ganzen Welt würden nun schmunzeln. Klar, Kommunikation ist an sich schon eine Herausforderung, aber es gibt Begriffe und es gibt Begriffe. Und, zieht man den Vergleich aus der obigen Abbildung heran, sollte ein Begriff, der letztlich ebenfalls nur ein Mittelwert ist, eine möglichst geringe Standardabweichung aufweisen (Zeile 3), um eine funktionale Kommunikation zu ermöglichen. Er sollte also bei möglichst vielen Menschen ein möglichst genaues Bild davon erzeugen, was gemeint ist. Bei Regionalität als „Mittelwert“ finden wir uns jedoch in Zeile 1 wieder. Ein Begriff (i.e. oranges Maxerl), der für sehr viele unterschiedliche Bedeutungsinhalte steht, wobei die konkreten Inhalte hier sehr stark variieren (i.e. hohe Standardabweichung).
Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der Begriff Regionalität somit ziemlich alleine da (Zeile 2), da er letztlich nichts bedeutet. Er ist wie ein babylonischer Kuckuck, der in fremde Nester schleicht und die eigentlichen Begriffe aus ihren Nestern stößt.
Konklusion:
Der Begriff der Regionalität taugt im allgemeinen Sprachgebrauch nichts, da er die Vielfalt der eigentlichen Bedeutungsebenen unterwandert und somit die Leistungsfähigkeit der Sprache reduziert. Es geht daher auch nicht darum, den Begriff Regionalität durch einen anderen, „besseren“ Begriff zu ersetzen. Nein, es sollten jene Begriffe und Bedeutungen verwendet werden, welche durch den „Mittelwert“ bisher verschleiert wurden. Wenn wir hier wieder deutlicher sagen, was wir wirklich meinen (Zeile 4), müssen die jeweils anderen viel weniger Zeit dafür aufbringen, sich eine Meinung darauf zu bilden, was wir vermeintlich sagen (Zeile 1).
Und ja, lassen Sie uns über Kosten, Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit reden.